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Rafael Stahl

* 1871 † 1928

EM WS 1918/19
Vorsitzender des AH Bundes 1908 - 1916

Leben

Rafael Stahl hatte, wie schon sein Vater, eine große technische Begabung und war ein „Macher“. Schon als Jugendlicher bereitete er sich auf den Eintritt in die väterliche Fabrik vor, wo er schon früh mitarbeitete und sogar eine vollständige Mechaniker-Lehre absolvierte. Noch während und im Anschluss an seine Studienzeit an der Technischen Hochschule in Stuttgart unternahm er Reisen nach Madrid, London und Lissabon „um den durch die Stuttgarter Rebhügel begrenzten Horizont aufzuweiten“ wie er es selbst ausdrückte. 1899 wurde er nach dem Tod des Vaters Geschäftsführer der R. Stahl AG. Dort entstanden unter seiner Leitung bereits 1901 der erste elektrische STAHL Personenaufzug und ab 1908 Paternosteraufzüge (davon 22 alleine in Stuttgart), sowie 1911 ein Großaufzug für 25 Personen und 65 m Höhe.


Rafael Stahl hatte frühzeitig das richtige Gespür für die Möglichkeiten elektrischer Antriebe und damit sehr innovativ immer neue Aufzüge und Hebezeuge in großer Bandbreite entwickelt.

Für die Hütte wurde er unersetzlich beim Bau des ersten Hüttehauses, dessen Zustandekommen seinem Wirken zu verdanken ist und für das er auch die gesamte Bauleitung innehatte. Während des ersten Weltkrieges gab er eine Hütte-Feldpost heraus und hielt so die Gemeinschaft der Bundesbrüder aufrecht. Er ist Stifter des „Stahl’schen Käs“, dessen Tradition seine Familie ohne Unterbrechung aufrechterhält. Deshalb singen wir bis heute am Weihnachtsfest der Hütte „Wo bleibt der Stahl’sche Käs?“

Schwerpunkte seiner Arbeit
  • Veranlagung wie der Vater und ein richtiger „Macher“ mit großer techn. Begabung
  • Mitarbeit im väterl. Betrieb, dann Baugewerkschule und  -Hochschule Stgt.
    • 1896 Reisen nach Madrid und London
    • 1897 Reise nach London, Paris und Lissabon
  • Nach dem Tod seines Vaters 1899 Geschäftsführer der Firma
  • Ehrensenator der TH Stuttgart


Zu seiner Zeit sind folgende, bekannte „STAHL-Projekte“ erstellt worden:

  • 1901 erster elektrischer STAHL-Personenaufzug
  • 1908 erster STAHL-Paternoster im Graf Eberhard Bau, dann Tagblatt-Turm, u. Oberpostdirektion
  • 1911 Großauftrag von Bloom & Voss, Aufzug für 25 Personen über 65 Meter Höhe
  • 1913 Stützketten -Aufzüge für Bahnsteige

Ehrungen

Ehrensenator der TH Stuttgart

Studienjahre

Das Bauwesen stand im ausgehenden 19. Jahrhundert in jeder Hinsicht in Blüte und in hohem Ansehen. Die schon über 2 Jahrzehnte bestehende Baugewerkschule in Stuttgart bot eine gediegene Wissensgrundlage auch im Maschinenfach für Söhne von Handwerkern oder andere Begabte, die sich als Unternehmer selbständig machen wollten. So wählte der Vater diese Schule für seinen Rafael. Einige zeichnerische Grundlagen hatte er schon in einem Kurs der alten Tor-Gewerbeschule erlangt, Er beschäftigte sich nun wieder mit Algebra, der geliebten Mechanik, Fachrechnen und fertigte mit Fleiß seine ersten Maschinenzeichnungen. Er brachte Bau- und Maschinenkonstruktionen in gleicher Weise Interesse entgegen. Der Vater verlangte zu Hause die ersten Zeichnungen und Skizzen von ihm und nicht selten am Abend seine praktische Mitarbeit beim Feilen der Platinen. Zu letzterem wurde auch die Mutter bis in die Nacht hinein mit herangezogen. Die Werkplatzbeleuchtung mit Gas war ungenügend. So kam es, dass Rafael infolge unausgesetzter Naharbeit und allgemeiner Augenüberlastung kurzsichtig wurde. Ein Jahr vorher musste er sich einer einseitigen Halsdrüsenoperation unterziehen.

Zunächst trat er in den Maschinenbauer-Verein „Motor“ ein. In dieser Korporation prägte sich bestens das studentische Leben an der Baugewerkschule aus. In jener Zeit schloss er die für ihn so wertvollen Freundschaften fürs ganze Leben. Aus jener Verbindung gingen die tüchtigsten Konstrukteure, Betriebsdirektoren und Fabrikanten hervor. Dr. Dürr und andere nahe Mitarbeiter des Grafen Zeppelin in Friedrichshafen zählten zu den Mitgliedern. Gleichaltrig waren: Döft (Heilbronn), Dillenius, der nochmalige Direktor der A. Stotz A.G. Kornwestheim, Schmidt (Grotz-Bissingen) und Rilling (Dusslingen) u. a. Sein Leibbursch war Mühleisen, der in Cannstatt ein Wasserwerk unter sich hatte. Im Sommer 1893 meldete sich Karl Bröcker aus Essen als junger Studierender an. Hier war nun jemand, dessen leichter Humor den etwas melancholischen Rafael Stahl aufschloss; sie waren wie füreinander geschaffen und alsbald schlugen die Herzen im gleichen Takt. Dies geschah anscheinend sehr zum Verdruss der anderen Aktiven. Was wollte auch der Rheinländer bei den Schwaben? – Im „Motor“ prägte sich übrigens jahrzehntelang beste Schwabenart aus; man hielt zusammen, nicht nur im Fach, sondern auch in den Familien. Manches schöne Stiftungsfest im Kursaal in Cannstatt offenbarte die Harmonie. Eine Photoaufnahme vom Jahre 1894 zeigt einige Mitglieder des „Motor“ bei einem Heizerkurs; darauf ist auch R. Stahl zu finden. In den Semesterferien hat er sich vermutlich auch einmal als Bauführer (vielleicht auf einer Baustelle der Fa. Hangleiter) betätigt.

Der Betrieb an der Baugewerkschule hat ihn anscheinend nicht voll befriedigt. Wie es scheint, waren die dort zu erwerbenden Kenntnisse in Maschinenlehre und vor allem in Konstruktion und Berechnung noch geringfügig; erst als später (1914) diese Abteilung ganz getrennt und als Staatliche Höhere Maschinenbauschule in Esslingen a.N. errichtet wurde, änderte sich das Bild. Rafael Stahl war aufgeschlossen der Zeit gegenüber und vorwärtsstrebend. Um tiefer in den Geist der Dinge einzudringen und um im Fach selbst schöpferisch sein zu können, schien es geraten, sich noch sehr mit den Hilfswissenschaften. Jenseits des Stadtgartens, genau gegenüber der Baugewerkschule, stand das seit den 60er-Jahren errichtete Polytechnikum (heute Technische Hochschule). Dort sah er andere hin pilgern. Um sich nun noch einmal mit Mathematik zu befassen und zur Ergänzung seiner Ausbildung verließ er im Sommer 1894 die Baugewerkschule mit einem Abgangszeugnis. So ging er im Herbst aufs Polytechnikum. Karl Bröcker nahm er mit. Sie waren nur außerordentliche Studierende, doch war bei R. Stahl der Lerneifer darum nicht geringer. Der Professorenkreis, auf der Höhe der Geistesbildung der Zeit stehend, verstand es, das Polytechnikum zu einer Alma mater herangreifen zu lassen und ihm dafür solche Grundlagen zu geben, dass die technischen Wissenschaften von nun an den anderen Disziplinen gleichgeachtet werden konnten. Seit Descartes hatte man begonnen, die aus vergleichender Beobachtung gewonnene Naturerkenntnis in Ordnungsreihen auszudrücken und nun hatte fast schon ein Jahrhundert vorher in Frankreich das mathematische Prinzip sich der Naturwissenschaft bemächtigt und drang allenthalben in die noch junge Technik ein. Der Deutsche Geist war mächtig erweckt und am Werke. Mit Releaux und Zeuner ging das Jahrhundert des Dampfes zu Ende. Carnot und Otto vervollkommneten ihren Motor, indem sie rechneten. Die technische Wärmelehre (Thermodynamik) stellte sich als seine Mechanik dar und war damit mathematisch fassbar. Genau 50 Jahre waren vergangen, seit der Heilbronner Arzt Robert Mayer das mechanische Aequivalent von der Wärme gefunden hatte (1845). Man wusste erst nicht recht, was er wollte. Mit seinen Erkenntnissen und denen von Helmholtz ließ sich der Stoff beherrschen und die Energien besser ausnutzen. Einige Namen von Professoren aus jener Zeit sind die folgenden: Autenrieth, Bach, Bantlin, Berg, Dietrich, Ernst, Koch, Teichmann, Weihrauch. – C.v.Bach, der geborene Sachse, nachmaliger württembergischer Staatsrat, (dessen Lebensbild zu lesen empfohlen sei) selbst von bescheidener Herkunft, hatte schon seit Jahren sein bekanntes Tafelwerk über die Maschinenelemente herausgebracht. Seine Arbeitskraft war erstaunlich. Als später einmal die Familien Obering. C. Schmid und Fabrikant R. Stahl eines Sonntagsmorgens auf deiner Waldstraße den Professor trafen, konnte er es nicht lassen, den Familienvätern Angaben und Anweisungen zu erteilen; obgleich nur der erstere in seinem Amt wohl mit ihm zu tin hatte, aber der heutige Ausflug nun einmal gewollt ohne Fachsimpelei verlaufen sollte. In den „Erörterungen für Maschineningenieure“ soll er es noch im Alter ausgesprochen haben, ein Ingenieur könne eigentlich nicht heiraten; es bliebe ihm bei der Fülle der Aufgaben einfach keine Zeit. Sicherlich erreichte er damit wenigstens, dass die Studenten alle Nebengedanken fahren ließen.

Autenrieth trug die Probleme der technischen Mechanik vor. Bantlin (Dampfmaschinen und Kessel) trug eine Fülle von Material vor. Er war mit Stahl befreundet, seit sie beide Hüttenbrüder waren. Berg las über Pumpen. Am neueingerichteten Elektrotechnischen Institut dozierte Dietrich. Ernst berechnete und entwarf Hebevorrichtungen. Bekannt ist sein Buch „Die Hebezeuge“. Koch las über Physik, Teichmann gab Maschinenlehre.

Ein besonders inniges Verhältnis scheint der Studiosus Rafael Stahl zu dem alten Professor Weihrauch gehabt zu haben. Dieser hatte neben der Wärmelehre damals noch die Hydraulik. Da hörte er von Kraftvermehrung, spezifischen Drücken, Proportionen, Rollenzügen und dem Wirkungsgrad. Dort wird man den Ort zu suchen haben, an welchem der Boden seiner Seele erstmals bereitet wurde für den Keim, aus dem seine spätere Tätigkeit als Aufzugsingenieur sich entfalten sollte. Dabei waren hydraulische Hebevorrichtungen doch schon veraltet. Jedenfalls fand das Fach wenig Zuspruch. Einmal geschah es, dass Professor und Studenten zusammen nur die Mindestzahl 3 für ein Kollegium erreichten. Der andere Studierende hatte offenbar mehr freie Zeit, so dass der Professor sich zunächst am Hochschultelefon an Stahl wandte und anfragte, wann er am besten Zeit zur Vorlesung habe, die dann wohl manchmal in der Wohnung des Professors stattfand.

Den geselligen Anschluss fand R. Stahl beim Akademischen Verein „Hütte“, der vorzugsweise für Maschineningenieure den Sammelpunkt bildete. Die Gründung desselben, an welcher sich schon der 25-jährige Dozent C. v. Bach beteiligt hatte, war im Februar 1870 damals schon zu gemeinsamer Arbeit und Geselligkeit mit ihren Professoren. Auch solche Studenten nahmen teil, die bereits einer anderen Korporation oder Verbindung angehörten, bis der Verein dann 1896 selbst Korporation wurde. Die Stuttgarter Hütte ist die Schwester der Berliner Hütte, welche heute noch „Des Ingenieurs Taschenbuch“, ein umfassendes Handlexikon und Formelheft für den täglichen Gebrauch im Büro und Betrieb, herausgibt. Die beiden Akademischen Vereine traten 1921 neben anderen ähnlichen zum „Wernigeroder Verband“ zusammen.

An neuen Freunden erwarb er sich neben dem bereits erwähnten C. Schmid, den späteren Oberingenieur beim Technischen Überwachungsverein Kittel und Stocker, die späteren Oberbauräte der Reichsbahn in Stuttgart R. Lind den Vorstand dieser Behörde, Maile, Direktor der Filderbahn, später Reichsbahnoberbaurat, Herrmann, Oberingenieur, zuletzt in Esslingen, Rall, Teilhaber der Druckerei Stähle und Friedel. Weitere Namen anzuführen verbietet sich hier und ist Sache einer Hüttegeschichte.

In den Fragen zum „Allgemeinen Bierkomment“ – z. B. dass es angebracht sei, sein Glas Bier „mit idealer Weihe“ zu trinken und sich nicht dem „stillen Suff“ zu überlassen – war sich erfreulicherweise die Akademikerschaft von jeher einig. Man stieg mit jugendlicher Begeisterung in die Kanne. In allen anderen, außer nationalen Fragen, war die Prinzipienreiterei groß. Beim M.B.V. „Motor“, der stärksten Verbindung an der Baugewerkschule, waren die studentischen Bräuche ähnlich denen bei akademischen Verbindungen an der T.H. – Man., stach z. B. den „Landesvater“. Noch bis zum 1. Weltkrieg fanden sich in einem Schrank bei Rafael Stahl die Mützen mit den Farben: „Pence, Gold, Blau“ mit dem Durchstich des Schlägers. Beim A. V. Hütte offenbarte sich genug akademisches Leben und Bräuche. Bewusst nicht farbentragend, wurde das Prinzip der unbedingten Satisfaktion angenommen.

Als fahrende Schüler waren sie die Herren der Welt. Manche, die von der Umgebung nach Stuttgart herein kamen und täglich die Bahn benutzten oder solche, die vor dem Examen standen, waren übermüdet. „Kohler, lebst Du geistig Diät?“ – dreht sich R. Stahl auf der Kneipe um zu einem schläfrig neben ihm Sitzenden. „Öd´s net a!“ – kommt ärgerlich die Antwort. Für die Hüttenkneipe stand die „schwäbische Bierhalle“ (Ecke Kanzlei- und Friedrichsstraße) oder die größere Liederhalle zur Verfügung. Damals hatte die Hütte noch kein eigenes Heim. Für gewöhnlich traf man sich im Restaurant Koppenhöfer (später Gymnasiumstraße), im Café Westen und später im Hotel Silber. Einmal auf dem Nachhauseweg von einer Kneipe im Westend mit einigen Freunden konnte R. Stahl plötzlich nicht mehr weiter; er hatte eine heftige Lungenblutung (Blutsturz) bekommen. Man brachte ihn nach Hause und der Arzt war wohl zuerst bedenklich; er befahl äußerste Schonung und anschließend weitere Pflege und Erholung. Dies war im letzten Semester (also Sommer 1896). Stahl und Bröcker hatten zu ihren 4 Semestern auf der Baugewerkschule nicht mehr als drei auf der Hochschule hinzugefügt.

So fand auch die jugendlich-fröhliche Studienzeit ihren jähen Abschluss und es blieb R. Stahl sen. nichts anderes übrig, als seinen Sohn auf ärztlichen Rat hin für einige Wochen nach Arosa zu schicken. Im Herbst dieses Jahres ist die Gefahr überstanden; der Lungenriss fortschreitend ausgeheilt; allerdings auch die Mahnung mitgegeben, vorsichtig und mäßig zu leben. Am wertvollsten ist die jetzt voll erwachte Liebe zur Alpenwelt.

Welche Ideale Stahl und seine Bundesbrüder zur Studienzeit leiteten ist wenig bekannt. R. Stahl war dafür veranlagt, an allem teilzunehmen, was andere bewegt hat. Seine Gemütsart gestattete ihm im Umgang mit Menschen schon früh zu einer eigenen Meinung und Urteilsreife zu kommen, ohne sich den Bestrebungen anderer zu versagen. Menschen und Dinge wurden ihm rasch zum Erlebnis; mitunter musste er sich stark überwinden; trotzdem leistete er auch als Mensch der Gesellschaft seinen Beitrag. Als Kamerad und Freund genießt er den Augenblick. Die Prädestination für seinen Beruf zeichnet ihn aus. Auch unter eigenen Sorgen – zu Hause wartete der Vater – bleibt er erlebnisfähig. Er isoliert sich nicht mit seinen Gedanken und vergleicht die selbstgefundene Lösung gerne mit dem Ergebnis anderer. Das kennzeichnet ihn auch später im Beruf.

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Carl Stocker

Paul Reusch